Buch dein eigenes beficktes Leben - "theBernd" im Interview (Ox-Fanzine #35)
[Anmerkung von theBernd, Dezember 2003:
Das folgende Interview ist von Guntram von SMALL BUT ANGRY ca. 1999 für's Ox-Fanzine geführt worden und
beschreibt meiner Meinung nach ganz gut die Entwicklung des BDEBL. Dort wo es nötig war, habe ich aktuelle
Kommentare und Korrekturen hinzugefügt (kursiv in eckigen Klammern). Anzumerken
ist außerdem, daß dieses Interview aus "Band bucht Konzerte"-Sicht geschrieben
ist, was zwar meiner ursprünglichen Motivation das Ding zu starten entsprach,
aber schnell um andere Eintragstypen - Fanzines, Mailorder, Preßwerke, etc. -
erweitert wurde. Danke auch an die Leute von musikdiener.de, von denen ich das
Original-Interview
gezogen habe.]
Vor ca. 5 Jahren habe ich das erste Mal vom "Buch
Dein Eigenes Beficktes Leben" gehört, der bislang besten
Punk/HC-Adressensammlung für den deutschsprachigen Raum. Nachdem ich mit meiner
Band SMALL BUT ANGRY im Frühjahr 1995 einmal quer durch die Republik getourt
bin, habe ich Martin Schmeil alias "the Bernd!" mit den gemachten Erfahrungen zu
einigen Läden angeschrieben, woraus sich ein lockerer Kontakt sowohl zu ihm als
auch zu GERM ATTACK ergab, mit denen wir
daraufhin ein paar Mal gemeinsam aufgetreten sind. Da sicher viele andere
Aktivisten aus der "Szene" auch prima mit dem BDEBL gearbeitet haben, wird es nun langsam Zeit,
den Mann, der dahintersteckt, mal vorzustellen.
Wie bist du auf die Idee gekommen BDEBL ins
Leben zu rufen?
"Es fing mit den RATTLESNAKE MEN an, deren damaliger Manager, Booker und
Labelboss Ralf keinen Bock mehr hatte und für den Ersatz gesucht wurde. Das war
Anfang 1992. Ich hatte zu der Zeit schon ein Mini-Non Profit-Tapelabel und galt
wohl als sehr engagiert. Bevor ich noch "Ja" sagen konnte, waren die RATTLESNAKE
MEN aber schon in SLICK und GERM ATTACK
gespalten und ich blieb an letzteren hängen. Konzerte klarzumachen erwies sich
als ziemlich schwierig oder besser gesagt unmöglich. Aus RATTLESNAKE MEN-Zeiten
hatte ich ein paar Adressen, aber das reichte nicht. Darauf hin habe ich andere
Bands angehauen und Adressen getauscht. Dabei habe ich schnell gemerkt, daß
selbst viele kleine "Furzbands" habgierige, egoistische Arschlöcher sind und
nicht bereit waren, ihre Sammlungen über mich an andere weiterzugeben. So habe
ich mich schließlich dazu entschieden meine Sammlung zu kopieren und umsonst in
Form von zwei Nullnummern zu verteilen, um diese Raffgiermentalität und den
professionellen Handel kaputtzumachen. Natürlich wäre ich erst gar nicht soweit
gekommen, wenn mir nicht Leute wie Dirk von DOG FOOD FIVE, Mario von den SWOONS
und viele andere, vor allem auch Micha von GERM ATTACK geholfen hätten. Die Idee an
sich war nicht neu: Ich kannte die Liste des Deutschen Rockmusikerverbands, die
zumindest damals aber noch unaktueller war als das BDEBL jetzt, die "Bandmappe", die ich aber leider
nie selbst in Händen hielt, und natürlich das "Book Your Own Fucking Life"-Projekt aus den
USA, hinter dem das Maximumrocknroll steckte: von dem ich
mir den Namen und den Machbarkeitsbeweis genommen habe. Außerdem haben mir Leute
von den Händlerlisten erzählt (50 DM für 10 Fotokopien), usw. Ich wollte das zum
Selbstkostenpreis machen, denn ich dachte mir, daß nur wenn alle sehen, daß sich
niemand bereichert, sie auch bereit sind sich hinzusetzen und vielleicht mal ´ne
halbe Seite oder mehr zu schreiben und mir zu schicken."
["Kleine Furzbands" ist hier keineswegs generell abwertend gemeint. Dies
sollte den Unbekanntheitsgrad der Kapellen ausdrücken, der nicht
notwendigerweise etwas mit musikalischer Qualität zu tun hat. Außerdem halte
ich es nach wie vor für besser, Musik (oder anderes) zu machen, statt
Musik (oder anderes) Anderer zu konsumieren.]
Lebt man nicht sehr einsam, wenn man die ganzen zugeschickten Daten auswertet,
aufbereitet, layoutet etc.?
"Einsam ist das falsche Wort. Bevor ich umgezogen bin und alle meine
Telefonnummer kannten, habe ich am Tag 10 Anrufe bekommen von Leuten, die mit
mir über´s BDEBL sprechen wollten. Die Arbeit
selbst ist natürlich absolut öde, da fällt´s mir schon leichter was für ein Zine
zu schreiben oder ein Cover zu designen. Manche Briefe haben einen persönlichen
Halbsatz drinnen und das macht´s etwas erträglicher. Claudia, meine Freundin,
hat mich auch am Anfang sehr unterstützt und in den Arsch getreten, die
Nullnummern fertig zu machen."
[Claudia hat an unserem 10. Jahrestag um meine Hand angehalten, seit
September 2003 sind wir verheiratet.]
Die Punk/HC Szene war ja sehr dankbar für deine Adressensammlung. Gab es auch
negative Stimmen?
"Ja, natürlich. Zum einen die oben erwähnten Bands, die das generell scheiße
fanden, die sahen das wohl als Konkurrenz. Dann kam der eine oder andere Händler
mit Drohungen, die sich entweder nach körperlicher Gewalt oder rechtlichen
Schritten angehört haben, indirekt zumindest, und natürlich auch von Leuten, die
nun vielleicht etwas zu viel Interesse an ihrem Club, Label,
usw. entgegengebracht bekamen. Das BDEBL
sollte allen eine Möglichkeit geben irgendwas selbst zu machen bzw. irgendwo
mitzumachen. Leider haben viele etablierte Aktivisten im Punk/HC-Bereich da eine
andere Auffassung und unterstützen beispielsweise, wenn überhaupt noch, nur
solche Bands, die mehrere 10.000 oder 100.000 DM für Promotion ausgegeben
haben. Alles andere ist dann nur noch eigentlich unnötiger Füller. Wenn also
Beschwerden in der Richtung kommen, kann ich nur sagen, daß die Leute doch wohl
besser ins echt kommerzielle Lager wechseln sollten, Westernhagen und so´n
Kack."
BDEBL ist ja, wenn man den Aufwand betrachtet,
spottbillig. Was hältst du von Angeboten nach dem Motto "1.000 Adressen von
Auftrittsmöglichkeiten für nur 100 DM"?
"Die sind meist irgendwo aus veralteten Listen abgeschrieben, teuer und
unbrauchbar. Wenn jemand dafür Geld ausgibt ist er selbst schuld. Ich habe
"meine" Adressen auch schon in "professionellen Listen" wiedergefunden, was mich
eigentlich nur deshalb geärgert hat, weil jemand mit meiner Arbeit Geld macht
und, schlimmer noch, die Sachen aus dem Zusammenhang gerissen werden. Wenn
z.B. ein Punk-Schuppen ohne entsprechende Anmerkung in eine Rockliste wandert
macht das keinen Sinn. Ich versuche also keine Informationen abzudrucken, die es
Händlern einfach machen, die Adressen weiterzuverwenden. Auch versuche ich alles
rauszuhalten, was nicht Punk und HC ist (Crossover, Hiphop, "Alternative",
Metal, usw.), wobei ich Ausnahmen mache, wenn die Leute Bezug zu Punk oder DIY
haben."
[Punk ist für mich ein weiter Begriff und auch nicht unbedingt passend;
"Nichtkommerzielle Musik / Aktivitäten" wäre richtiger. Außerdem wollte ich
"schon" 2001 mit meinem Kumpel Dirk eine BDEBL-online Version bauen, die nicht mehr nur
auf Punk, etc. beschränkt ist und mit Kategorisierung von Musikstilen
arbeitet. Daraus ist aus Mangel an Zeit und dem damaligen Stand der Java-Version
des freien Web-Entwicklungstools ACS -
entwickelt von der Firma für die wir damals gearbeitet haben und heute bekannt
als Red Hat Web Application
Framework - nichts geworden (Die aktuelle Wahl fällt auf OpenACS, welches neben Oracle auch die freie
Datenbank Postgres unterstützt; in
Verbindung mit Linux ist diese
Kombination also komplett für lau erhältlich).]
Im Vorwort von BDEBL 3 sprichst du davon, daß
BDEBL in rechten Mailorderkatalogen als
Adressensammlung 1.000er Anarchos gehandelt wurde. Ist es tatsächlich von
Rechten mißbraucht worden?
"Abgesehen von diesem einen Mailorder, der da ´ne Mark machen wollte, vermutlich
nicht. Ich klammere Politik ja auch vollkommen aus, insofern sind die Adressen
für solche Zwecke unbrauchbar. Dennoch hat mich das geärgert."
Wird es ein weiteres BDEBL geben?
"Ich habe schon viel Arbeit investiert, allerdings ist noch keine Adresse
eingetippt! Da muß auch noch viel kommen, bislang habe ich fast ausschließlich
Bandadressen, und das ist sicherlich nicht die Hauptmotivation der Leute, sich
das Heft zuzulegen. Da die letzte Ausgabe vor ziemlich genau zwei Jahren
rausgekommen ist, sind die mittlerweile eingetroffenen Adressen teilweise
vermutlich auch schon wieder hinüber. Übers Ox - Joachim hat ja
freundlicherweise in der Vergangenheit gut Werbung gemacht - und Plastic Bomb -
ohne die hätte es die letzten beiden Ausgaben auch nicht gegeben - möchte ich
noch ein wenig Alarm machen und auf meine neue Adresse hinweisen und wenn dann
bis Sommer immer noch Flaute ist, erklär ich das Ding offiziell für tot. Es wird
dann hoffentlich andere geben, die sowas machen, so wie es das parallel zum BDEBL auch mehrfach gegeben hat. Die Adressen
würde ich ggf. weiterreichen."
[Die letzte Ausgabe war dann tatsächlich die #3 von 1997. Ob es heutzutage
überhaupt noch Sinn macht eine sich idealerweise ständig erweiternde und
aktualisierende Datenbank auf Papier zu drucken, kann ich nicht
beurteilen.]
Welche Tips würdest du jungen Bands geben, die gerne außerhalb ihres Wohnortes
auftreten möchten?
"Ich halte mich nicht für einen guten Booker und staune immer, wie manche
Kapellen es schaffen so schnell so flächendeckend zu spielen - MUFF POTTER
fallen mir da spontan ein. Bands, die "keine Chance" haben, sollten sich
vielleicht mit anderen Bands in anderen Städten zusammentun und gegenseitig
lokal Konzerte klarmachen, wenn man denn mal lokale Kontakte hat. BDEBL kann in Verbindung mit einem Demo und Info,
das nach was klingt und gut aussieht, sicherlich auch helfen. Man sollte sich
allerdings immer in die Rolle der Veranstalter versetzen, die mit Zeug
zugeschissen werden und oft eh nur aktuell gehypte Bands spielen lassen. Ein
gammeliges Tape und Rumgenerve reicht da nicht, wenn ein bißchen gebastelt wird
und alles nach was aussieht, nimmt man vielleicht die erste Hürde."
Auf welche Art und Weise hast du für GERM
ATTACK am besten Konzerte klarmachen können?
"Sehr oft habe ich Leute irgendwie kennengelernt, die, weil sie Konzerte
veranstaltet haben, auch mal GERM ATTACK
haben spielen lassen. Dann sind wir auch mal eine kurze Zeitlang ohne einen
Finger rühren zu müssen angesprochen worden. Richtig hart erarbeitet habe ich
mir nur eine Kurztour, die neben dem oben Erwähnten auch ein paar richtige
Anrufe erforderte, aber auch durch Hilfestellung von anderen Bands und Freunden
- zu viele, um sie zu nennen - zustande gekommen ist. Es hat ´ne Zeitlang ganz
gut geklappt, weil GERM ATTACK gute
Presse hatten, vielleicht auch noch von RATTLESNAKE MEN-Zeiten profitierten und
ich bei ein paar Leuten wegen BDEBL, Happy
Bone Recs. (speziell DEEP TURTLE) oder
sonstwas ´nen Stein im Brett hatte. Ansonsten halte ich mich, wie gesagt, für
eine Booking-Niete. Ich kann auch nicht sagen, welche Konzerte für die Band am
besten waren: sicherlich freut man sich über hohe Festgagen und das Glück mal
vor 300 - 400 Leuten zu spielen, aber so mancher nicht ideal gelaufene Auftritt
wurde durchs anschließende Feiern mit den anderen Bands, Veranstaltern oder
Konzertbesuchern wieder aufgewogen."
Gibt es BDEBL noch online?
"Nein, nicht mehr, ich will nichts maschinell Verwertbares mehr bieten, aus
diversen Gründen, von denen kommerzielle Adresshändler sicher einer sind.
[Nun, es wird definitv wieder eine Online-Version geben. Allerdings versuche ich mir
was einfallen zu lassen um ein "Abernten" der Adressen zu erschweren.]
Guntram Pintgen
[Besten Dank, Guntram! Wer mehr wissen will schickt 'ne mail an bernd@thebernd.de (Mozilla Spam-Filter aktiviert, funktioniert
gut das Teil).]